Die Fraunhofer Morgenstadt-Initiative nutzt einen breiten, interdisziplinären Ansatz, um Städte in eine nachhaltige und resiliente Zukunft zu begleiten – oder gar zu führen. Raumbezogene Analysen sind dabei unabdingbar.

Herr, Frieling, wir leben im Jahrhundert der Städte. Die Bedeutung der Stadt als Lebensraum wird in den nächsten Jahrzehnten weltweit weiter zunehmen. Die Morgenstadt-Initiative ist ein Netzwerk von Fraunhofer-Forschungseinrichtungen, Verwaltung und Wirtschaft für die innovative Stadt von morgen. Nennen Sie uns doch bitte kurz die wichtigsten Aspekte, an denen Sie arbeiten.

Die Fraunhofer Morgenstadt-Initiative zielt darauf ab, Systeminnovationen für die Stadt von morgen vorauszudenken, zu entwickeln und zu erproben. Als interdisziplinärer Verbund von Fraunhofer Instituten, Kommunen und Unternehmen arbeiten wir gemeinsam an der Transformation hin zu klimaneutralen und lebenswerten Städten. Hierbei nutzen wir einen systemischen Ansatz – dies bedeutet, dass wir uns das gesamte Stadtsystem anschauen, die sektoralen Interdependenzen analysieren und hieraus Handlungsempfehlungen und Strategien für Städte ableiten. Aktuell beschäftigen wir uns beispielsweise mit der smarten und nachhaltigen Quartiersentwicklung (Link) und der datenbasierten Optimierung des Trinkwasserzyklus (Link)

Wie hilft Digitalisierung dabei, die Lebensqualität der Städte beizubehalten oder gar zu erhöhen?

Durch die Digitalisierung bieten sich viele Chancen für eine nachhaltige, smarte und gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung. Ohne Digitalisierung können wir die Ziele des Pariser Klimaabkommens nicht erreichen. Durch das Internet der Dinge (IoT) sind enorme Effizienzgewinne im Bereich der Energienutzung möglich. So können durch bedarfsorientierte Straßenbeleuchtung oder auch Heizungssteuerung schnell Effekte erzielt werden, die Bürgerinnen und Bürgern zugutekommen. Aber nicht nur im Bereich Energie bringt die Digitalisierung Mehrwerte mit sich. Auch die Sektoren Mobilität und Logistik, urbanes Wassermanagement, aber auch die Verwaltungsdigitalisierung bieten unzählige Anknüpfungspunkte, in denen durch intelligente Datennutzung Systemabläufe optimiert und die Lebensqualität der Städte erhöht werden kann.

Arbeitsweise der Morgenstadt-Initiative

Aus einer geowissenschaftlichen Perspektive behaupte ich einfach mal, ohne vernetzte Geoinformationen in Form von einem Smart-City-Kontext oder einem echten „Digitalen Zwilling“ läuft in Ihrer Arbeit nichts. Stimmt das?

Raumbezogene Analysen sind unabdingbar für die nachhaltige Entwicklung von Städten, dazu ist eine sehr gute (Geo-)datenlage und vor allem Interoperabilität der Systeme wichtig. Dies betrifft zum einen Echtzeit-Datenplattformen, die für Prognosen genutzt werden können und zum anderen (städtische) Geodatenportale, die Auswertungen nicht in Echtzeit vornehmen können, jedoch enorm wichtig für Planung und Visualisierung sind. Hier wird es zukünftig immer wichtiger werden, sich auf gemeinsame Standards zu einigen, um Daten gegenseitig nutzbar zu machen.

Kommen wir zum Klimawandel. Städte werden mit den bekannten Hitzeinseln zu Hotspots des Klimawandels. Vor allem ältere Menschen, aber auch Menschen mit Vorerkrankungen, leiden besonders darunter. An welchen Stellschrauben arbeiten Sie, um die Überhitzung von Städten absehen zu können und im besten Fall dagegen vorzugehen? Und wie helfen Ihnen Geoinformationen dabei?

Die Vermeidung urbaner Hitzeinseln ist eine zentrale Aufgabe für die Anpassung unserer Städte an den Klimawandel. Zum einen können mittels verbauter Sensorik im Stadtsystem Hitzeinseln erkannt und dementsprechend planerische und bauliche Maßnahmen ergriffen werden. Im Projekt „SMARTilience“ wurden beispielsweise mit den Städten Mannheim und Halle (Saale) Maßnahmen geplant, welche nun in „SMARTilienceGoesLive“ die Umsetzungsphase gehen. Diese umfassen unter anderem die Installation von Trinkbrunnen, die vermehrte Bepflanzung und Nutzung von Verschattungselementen, intelligente Bewässerungssysteme sowie die Umsetzung eines Hitzeaktionsplans in der Stadt Mannheim. Letzterer enthält konkret Maßnahmen für den Schutz vulnerabler Gruppen vor den Auswirkungen von Hitze. Weiterhin möchte die Stadt Halle (Saale) eine smarte Vernetzungsplattform für Akteur*innen implementieren. Für alle diese Aspekte sind verfügbare und qualitativ hochwertige Geodaten natürlich von großer Bedeutung.

Sie arbeiten mit mittlerweile 19 so genannten City Labs. Darin untersuchen interdisziplinäre Teams Stadtsysteme und entwickeln darauf aufbauend eine Roadmap für eine nachhaltige Stadtentwicklung. Inwieweit sind die Eigenheiten von Stadt A auf eine andere Stadt übertragbar? Und bringen die CityLabs auf diese Weise eine Blaupause für andere Städte?

In den City Labs werden auf Basis von Datenerhebungen und Analysen zunächst individuelle Stadtprofile erstellt, die die Stärken und Schwächen eines Stadtsystems sektorabhängig darstellen. Auf Grundlage dieser Analyse werden Handlungsempfehlungen erarbeitet und konkrete Schritte und Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele festgelegt. Somit sind City Labs zunächst einmal stark kontextabhängig und bieten möglichst passgenaue Lösungen für die untersuchten Städte. Natürlich wird der Faktor Replikation immer mitgedacht. Es zeigt sich jedoch in der Praxis, dass die Übertragung von Lösungssystemen auf weitere Städte nur dann sinnvoll ist, wenn die Ausgangslage ähnlich ist. Dieser Faktor sollte hierbei stets mitgedacht werden.

Zum Schluss: Der globale Süden leidet stark unter den Auswirkungen des Klimawandels. Wie binden Sie diesen Aspekt in Ihre Arbeit ein?

Der Transfer von Know-How in den globalen Süden ist ein zentraler Aspekt unserer Arbeit. Im Projekt Morgenstadt Global Smart Cities werden Modellstädte in Indien (Kochi), Mexiko (Saltillo) und Peru (Piura) bei der Entwicklung und Umsetzung von nachhaltigen Transformationsprozessen und bei der Erreichung der internationalen Nachhaltigkeitsziele unterstützt. Auch hier kam die City-Lab-Methodik in die Anwendung, um passgenaue Roadmaps für die beteiligten Städte zu entwerfen. Im Fokus der Maßnahmen steht dabei die Erhöhung der Resilienz gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels. Diese beschäftigen sich mit den Sektoren Energie, Wohnen, Wasser, Mobilität und Stadtplanung. Abhängig vom lokalen Kontext werden Schwerpunkte gesetzt und Schritte beispielsweise zur Erhöhung der Energieeffizienz, Gewässerreinhaltung oder lokal angepasste Bauweisen festgelegt. Da die Auswirkungen des Klimawandels im globalen Süden bereits jetzt sehr stark sichtbar sind, ist es daher unabdingbar, dass wir unsere Kooperationen mit diesen Ländern weiter intensivieren.

Herr Frieling, wir bedanken und für das Gespräch. Das Interview führte Monika Rech-Heider