„Digitale Zwillinge sind Werkzeuge“

Thomas Eichhorn vom Landesbetrieb Geoinformation und Vermessung in Hamburg im Gespräch mit INTERGEO-Redakteurin Monika Rech-Heider.

Es gibt nicht den einen Digitalen Zwilling, sagt Thomas Eichhorn vom Hamburger Landesbetrieb für Vermessung und Geoinformation. Wohl aber den Geobasiszwilling, der in einer Brokerfunktion themen- und fachzpezifische Zwillinge füttert. In der Version 0.9 liegen der Geobasiszwilling und auch Themenzwillinge in Hamburg schon heute vor.

Herr Eichhorn, Sie sind Geschäftsführer des Landesbetriebs Geoinformation und Vermessung in Hamburg. Sie verantworten die Aufgabengebiete Digitale Stadtentwicklung und urbanes Datenmanagement. Was ist ein Digitaler Zwilling in Ihrer Definition?

Den einen digitalen Zwilling gibt es nicht und wird es vielleicht nicht geben. Städte werden themen- und fachspezifische digitale Zwillinge haben mit Zeitbezug und in unterschiedlichen Detaillierungsgraden. Es werden zweckgebundene Digitale Zwillinge sein, die aufgabenspezifisch konzipiert werden. Das verbindende Element dabei ist ein Basiszwilling, aus dem sich die anderen Instanzen ableiten. Der schafft den räumlichen Bezug und enthält Basiselemente, die in allen Zwillingen vorkommen. Der Basiszwilling ist in der Lage, Veränderungen an die anderen Instanzen weiterzugeben. Er hat also eine Art Brokerfunktion inne, der für die räumliche Zusammenführung verschiedener Instanzen da ist. Will man etwa Zwilling A und Zwilling B zusammenbringen, um sich gewisse Auswirkungen anzeigen zu lassen oder Stadtteilanalysen zu erstellen, braucht man vielleicht Teile vom Verkehrszwilling, aber auch vom Planungszwilling oder von einem sozialräumichen Zwilling. Der Basiszwilling führt all diese Zwillinge zusammen und macht sie rechen- und auswertbar.

Ist das verbindende Element zwischen den verschiedenen Instanzen das 3D-Stadtmodell?

Eben nicht. Das wäre verkürzt. Das 3D-Stadtmeodell gehört in den Basiszwilling. Aber es ist es nicht alleine. Dazu gehören Eigenschaften und Methoden. Das muss man noch einmal spezifizieren, so wie man bei den Fachzwillingen etwa überlegen muss, gehört die E-Ladesäule in den Klimazwilling oder den Mobilitätszwilling. Aber: Elemente vom 3D-Modell müssen Elemente vom Basiszwilling sein; etwa die Gebäude, Straßen, Katastergrenzen, Gewässer, Verwaltungsgrenzen. Aber das ändert sich vielleicht auch von Verwaltung zu Verwaltung. Es gibt keine abschließende Liste, was alles in einen Geobasiszwilling gehört. Die Elemente müssen festgelegt und dann mit vollautomatischen Prozessen ajour gehalten und an die anderen Zwillinge weitergegeben werden. Da gehört eine gewisse Intelligenz dazu. Dieser Digitale Zwilling ist nicht bloß ein Datensatz. Er muss bestimmte Methoden und Eigenschaften haben, die es ihm ermöglichen, Änderungen in der realen Welt an die anderen Instanzen weiterzugeben. Dazu muss der Basiszwilling den einheitlichen Raumbezug liefern. Zu all dem werden Methoden des Machine Learning oder Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen.

Beschäftigen Sie sich innerhalb der Digitalisierung der Stadt mit dem Konzept Digitaler Zwillinge?

Smart City ist die Strategie, Städte mithilfe von Digitalisierung smarter zu machen. Digitale Zwillinge gehören in diese Digitalstrategie. Wie komme ich umweltfreundlich von A nach B, wie vermeiden wir Hitzeinseln? Wie bekommt man eine gute Frischluftdurchmischung in Innenstädten? Simulationen im Katastrophenfall. Bei diesen Beispielen sind Digitale Zwillinge Werkzeuge, mit dem man die Digitalstrategie zum Ergebnis führen kann. In Hamburg ist die Digitalstrategie eingeteilt in Digitale Räume, wie Mobiliät, Soziales, Gesundheit. Dieses Konzept muss sich in den Digitalen Zwillingen fortsetzen und sich ihrer als Werkzeug bedienen, um die Stadt voranzubringen.

Wo stehen Sie denn in Sachen Digitaler Zwilling?

Ich würde sagen, der Geobasiszwilling existiert in der Version 0.9. Und wir haben auch schon Fachzwillige in der Version 0.9. Das variiert von Fachdomäne zu Fachdomäne. In den Bereichen Planen und Bauen und Mobiliät sind wir sehr weit, weil es durch den ITS-Weltkongress in Hamburg sehr viele Projekte gab.

Wie passen Echtzeitdaten zum Thema Digitaler Zwilling?

Sensoren greifen stark in den Mobilitätszwilling ein. Verkehr ist sehr dynamisch. Echtzeitdaten liegen beispielsweise bereits zur Ladeinfrastruktur vor. Ist sie belegt oder nicht belegt. Wenn man Langzeitdaten hat, kann man daraus im Vorfeld ableiten, wann eine Säule belegt ist und wann voraussichtlich nicht und wo zusätzliche Ladesäulen errichtet werden müssen. Ein anders Thema für Echtzeitdaten ist Verkehrszählung, also Verkehrsmengenerfassung. Dazu gibt es Infrarotkameras an jeder Ampel in Hamburg, die fahrspurweise und datenschutzkonform den Verkehr erfassen. Das ist bei uns Basis für eine intelligente Verkehrssteuerung. In den Verkehrszwilling integriert sind die Ampelschaltungen. Für vernetztes autonomes Fahren bedeutet das, dass das Vieraugen-Prinzip gilt. Die autonomen Fahrzeuge erkennen das Grün mit eigener Sensorik, bekommen aber auch vom Digitalen Zwilling Verkehr die Rückmeldung über den Status der Ampel.

Der Verkehrszwilling existiert also bereits?

Er ist noch im Projektstatus, der Datenstrom im Echtbetrieb ist jedoch schon verfügbar. Noch haben nicht alle Ampeln Sensoren. In einem Projekt mit einem Automobilhersteller wird etwa untersucht, wie der Datenstrom dabei helfen kann, das „Time to Green“ zu rechnen, also die Geschwindigkeit zu errechnen, um das nächste Grün zu erreichen. Das wird dann in ein Navigationssystem integriert. Ein weiters Beispiel ist das Projekt zur Sensorik auf Parkzellen. Die Sensorik meldet, ob Parkzellen frei oder belegt sind und wird damit zu einer deutlichen Reduktion von Parkraumsuchverkehr führen. Da gibt es noch weitere Beispiele.

Haben Sie weitere Beispiele aus anderen Digitalräumen?

Ein großes Feld ist das Sozialraummanagement, also sozialräumliche Analysen in Stadtteilen. Fragen sind etwa: Wie entwicklen sich Stadtteile? Wie entwickeln sich Bedürfnisse in Stadtteilen durch verschiedene Bevölkerungsgruppen? Wie ist die Altersverteilung und ist die Infrastruktur an das Alter der Bevölkerung angepasst? Wie viele Menschen haben Zugang innerhalb von fünf Gehminuten zu Bushaltestellen. Diese Fragen soll der Sozialräumliche Zwilling beantworten. Das dritte große Thema ist der Planungsbereich. Planungsszenarien sollen im Zwilling modelliert werden, inklusive der Beteiligung von Wirtschaft und Bürger*innen, um Bürger*innenbeteiligung und Transparenz zu schaffen. Dazu braucht es digitale Zwillinge begrenzter räumlicher Bereiche mit hohem Detaillierungsgrad.

Was wünschen sie sich zum Thema Digitaler Zwilling in Hamburg?

Ich wünsche mir, dass man sich auf die Bedeutung und den Wert dieses Geobasiszwillings verständigt. Dass man ihn ins Anlagevermögen mit hineinnimmt, der gepflegt wird und als Infrastruktur im Sinne digitaler Daseinsvorsorge in der Stadt vorgehalten und bereitgestellt wird.

Thomas Eichhorn

Thomas Eichhorn ist Geschäftsführer des Landesbetriebs Geoinformation und Vermessung in Hamburg. Seine Aufgabengebiete sind die Digitale Stadtentwicklung und urbanes Datenmanagement. Der Landesbetrieb Geoinformation und Vermessung ist Teil der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen. Kernaufgabe des LGV ist das Management städtischer Daten. Der Landesbetrieb macht diese öffentlich zugänglich und schöpft aus ihnen Mehrwert für die Entwicklung der Stadt.